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Vor der EU-Wahl

BZ-Gespräch: Günther Oettinger fordert in Freiburg mehr Einsatz für Europa

Fabian Klask
  • Do, 25. April 2024, 21:37 Uhr
    Südwest

     

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Europa wählt im Juni – in Zeiten der vielen Krisen: Wie gut ist die EU auf diese Herausforderungen vorbereitet? Der langjährige EU-Kommissar Günther Oettinger analysierte in Freiburg die Lage.

Spannende Analyse: Günther Oettinger i...g und BZ-Chefredakteur Thomas Fricker.  | Foto: Michael Bamberger
Spannende Analyse: Günther Oettinger im Gespräch mit Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung und BZ-Chefredakteur Thomas Fricker. Foto: Michael Bamberger

Fast zehn Jahre lang war Günther Oettinger Kommissar in Brüssel, 2019 hat er sich aus Europas Hauptstadt verabschiedet. Die Zukunft der EU aber treibt ihn weiter um: In Zeiten der vielen Krisen trete Europa nicht stark genug auf, sagte er am Donnerstagabend in Freiburg. Oettinger mahnte neue Initiativen an: "Man kann nur hoffen, dass sich nach der Europawahl Emmanuel Macron, Olaf Scholz mit Polens Ministerpräsident Donald Tusk an einen Tisch setzen". Das Trio müsse Europa in den zentralen Fragen stärken, meinte Oettinger bei einem Gesprächsabend, den die Landeszentrale für politische Bildung und die Badische Zeitung organisiert hatten. "Europa – wohin gehst du?" lautete die zentrale Frage des Abends in der Pauluskirche.

"Was Macron an Empathie zu viel hat, hat Scholz zu wenig"Günther Oettinger

Für Oettinger steht fest, für ein stärkeres Europa müssen vor allem Frankreichs Präsident Macron und Kanzler Scholz ein besseres Arbeitsverhältnis finden. "Was Macron an Empathie zu viel hat, hat Scholz zu wenig", sagte der frühere CDU-Politiker. Scholz müsse Macron gerade nach seiner neuen Sorbonne-Rede vom Donnerstag "die Hand reichen". Der Kanzler dürfe nicht den gleichen Fehler wie seine Vorgängerin machen. Seiner Parteifreundin Angela Merkel wirft Oettinger vor, auf Macrons Avancen für mehr Zusammenarbeit nie geantwortet zu haben. "Sie hat Macron am langen Arm verhungern lassen."

Die Europäer als neue Friedenspolizei auf dem eigenen Kontinent

Mehr Einsatz müsse Europa vor allem gegenüber "Verbrecher Putin" zeigen. Die EU-Staaten zusammen seien wirtschaftlich viel stärker als Russland. "Wenn wir nicht in der Lage sind, kriegstüchtig zu werden, werden wir uns wundern, was an Frieden, Freiheit und Demokratie kaputtgeht", sagte Oettinger. Das neue Waffenpaket aus den USA werde wohl das letzte sein. Die USA würden sich immer weniger in Europa engagieren. "Die Europäer müssen nun die Friedenspolizei auf dem Kontinent sein", betonte der 70-Jährige im Gespräch mit Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung und BZ-Chefredakteur Thomas Fricker.

Die Gesprächsrunde mit Günther Oetting...in der Pauluskirche in Freiburg statt.  | Foto: Michael Bamberger
Die Gesprächsrunde mit Günther Oettinger fand in der Pauluskirche in Freiburg statt. Foto: Michael Bamberger

Wenige Wochen vor der Europawahl im Juni sagen die Umfragen Populisten, Rechtsextremen und sonstigen EU-Gegnern hohe Wahlergebnisse voraus. Ein schnelles Gegenmittel fällt auch Europakenner Oettinger nicht ein. Für den früheren Energie- und Haushaltskommissar hilft vor allem wirtschaftlicher Erfolg gegen Extremisten. Gerade beim Wirtschaftswachstum stünden die EU und insbesondere Deutschland aber schlecht da: "Wir schrumpfen." Mit einer klugen Wirtschaftspolitik müsse erreicht werden, dass "Deutschland und Europa nicht absteigen". Für ihn sei klar: "Wenn die Menschen Wohlfahrtsverluste befürchten und zugleich die Migration nicht klug gesteuert wird, dann haben Populisten Chancen."

Ressort: Südwest

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Kommentare (1)

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Aniela Schneider

12130 seit 15. Feb 2014

Mehr Einsatz für Europa? – Ei gewiss doch, Herr Öttinger. Politikers sollten sich erinnern, dass Europa am Bosporus endet. Und am Ural.

Sie sind gefordert, auf ein gut-geschwisterliches Neben- und Miteinander auf dem Kontinent zum Wohl der Menschen bedacht zu sein. Statt Hass zu fördern und Feindschaft mit Waffengewalt zu pflegen.

Die Europäer als Friedenspolizei auf dem Kontinent ist durchaus vorstellbar. Wer sich diesem Gedanken zuwendet, stellt als Erstes fest, dass US-Amerika nicht teil des Kontinents ist. Groß-Britannien zählt zwar zu Europa, ist aber weder Land noch Staat auf dem Kontinent.

Vor allem ist Russland – Putin hin oder her – Teil Europas. Mit berechtigten Interessen und Bedarfen, die nach dem Zusammenbruch des Sowjet-Regimes hätten in friedlicher Ko-Existenz hätten berücksichtigt werden müssen.

Nach diesem Zusammenbruch stand nicht notwendigerweise und unabweisbar die Zerschlagung des staatlichen Gefüges auf der Agenda. Ost-Europa hatte die Chance und Gelegenheit sich *mit* den vorhandenen Strukturen zu einem demokratisch verfassten Verbund zu entwickeln. Und wäre damit dann politisch-kulturell den national immer noch getrennten westlichen Nachbarn schon überlegen gewesen.

Kanzler Scholz tut also nicht zu wenig für Europa, wie Herr Öttinger meint, sondern das Richtige: Waffen raus – die Waffen ablegen vor Betreten des Verhandlungssaals. Den Unterhändlern eine Enklave wie bei der Papstwahl. – Bis weißer Rauch aufsteigt.


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